Oskar Staudinger

»Die alte Frage, was Kunst ist,
darüber lässt sich streiten.
Den, der durch Kunst die Zeit vergisst,
trägt sie durch die Zeiten.«

 

Ein Einblick aus der Reihe “Dresdener Ateliers”


»Dass sich noch kein Klimaaktivist an seine Bilder geklebt hat sieht er als persönlichen Affront«

Die Zeichenfeder gleitet über das glatte Papier, über dem gesamten, von einem bersteinfarbenen Licht erfüllten Raum schwebt ein warmer Harzgeruch. Im Hintergrund ist „Don Giovanni“ von Mozart zu hören. Il mio tesoro intanto. Am Zeichenpult steht in einem einreihigen grauen Flanellanzug der Künstler und Illustrator Oskar Staudinger, seinem zielgerichteten Arbeiten ist es zu verdanken, dass der Anzug, sein Kunstkostüm, noch hellgrau ist. Das entstehende Werk könnte in seiner Theatralik selbst auf eine Opernbühne passen. Oskar Staudinger wuchs in einer Opernsängerfamilie auf und ein Hauch Bühnentheatralik scheint ihm in die Wiege gelegt worden zu sein.

In dem überraschend schwach beleuchteten Raum steht ein Gemälde auf einer ölverkrusteten Staffelei, nackte Menschen, einem Naturereignis ausgeliefert, das sie selbst heraufbeschworen haben. Seine Kunst bestünde unter anderem darin Farbigkeit und Kontrast mit extrem reduzierter Palette, Oskar Staudinger malt meist in Schwarzweiß, zu erzeugen, und dazu würde er das schwache Licht benötigen. Bei voller Beleuchtung entstünden nur graue Flächen und für die sei ja schon jemand anders zuständig. So kontrastreich wie seine Arbeiten sind auch seine Themen, auf dem dunklen, seidenmatt schimmernden Apothekerschrank steht auf einer kleinen Metallstaffelei ein Bildnis eines sadistisch grinsenden Teddys, der schwarzhumorige Antipode zu dem Bild auf der Staffelei.

Dass sich noch kein Klimaaktivist an seine Bilder geklebt hat sieht er als persönlichen Affront, schließlich ginge es in seinen eher wagnerianischen Ölgemälden sehr häufig genau um diese Thematik. Menschen, verloren in einer feindlicher werdenden Umwelt. Wobei die Natur hier nicht als Ziel einer verklärten Waldgängerromantik zu verstehen ist, sondern als selbst geschaffener Gegner, der uns vom Planeten streicht, wie die Hand eines Architekten unliebsame Gebäudeentwürfe aus dem Stadtmodell entfernt. Götterdämmerung, Siegfrieds Trauermarsch würde im Anbetracht der Wolkenformationen gut passen. Während der Blick über das Ölgemälde schweift entsteht in einer unglaublichen Leichtigkeit der Hintergrund für die Tuschezeichnung. Ja, sagte ich, ich musste mich auch bemühen, um mich izt nicht mehr bemühen zu därfen. „Don Giovanni“ im Ohr provoziert natürlich Mozart Zitate.

Ah, dove è il perfido. Das später angefügte Finale von „Don Giovanni“ ist zu hören. Eine amüsante Mischung, „Don Giovanni“, überdreht grinsende Teddys in Tusche und ein wagnerianisches Gemälde. Komik ist Tragik in Spiegelschrift, James Thurber.

© Aus dem Text „Dresdener Ateliers“ von A.K. Negus, Dresden, 29.11.2022


 

Das stille Atelier


»Der Abgrund schaut zurück, grüßt aber höflich.«

In einem Atelier an einem Ort, der von den Bewohnern selbst als Einöde bezeichnet wird, steht ein Künstler an seinem Zeichenpult und lässt die Feder Formen aus dem Geist auf dem Papier nachzeichnen. Der Regen, der ans Fenster klopft, und ein stürmischer Wind, der klingt wie ein wehklagendes Gespenst, sind die einzigen Geräusche, die zu hören sind. Neben der Feder natürlich und dem Eintunken ins Tuschefässchen. Die gebeugte Gestalt im Anzug zeichnet immer weiter, als wäre niemand im Raum. Ab und an räuspert sie sich. Wie eine blinde, beinlose Kreatur kriecht die Zeit. Ein schweigendes Künstlergespräch.

Die melancholische Stimmung findet sich auch in seinen Bildern wieder. Oskars handwerklich aus der Zeit gefallene Zeichnungen vermitteln eine Stimmung, als würde man sie in einem alten, nach feiner englischer Seife riechenden Herrenhaus finden, leicht vom sterbenden Kerzenschein beleuchtet neben dem Bücherregal in der Bibliothek. Die Bewohner sind schon lange verstorben, aber wollen immer noch nicht gehen. Sie sind die Schatten, die das Bild bewundern. Etwas Geisterhaftes fließt in Oskar Staudingers Kunst ein. Der Abgrund schaut zurück, grüßt aber höflich. Natürlich sind nicht alle Werke von Staudinger düster und gravitätisch. Viele seiner Zeichnungen begleitet ein humoristisches Augenzwinkern. Saties Gnossiennes treffen auf Wagners Götterdämmerung und gehen zusammen zu Offenbach.

Es gewittert, Oskar zeichnet stoisch weiter. Nach mehreren erfolglosen Versuchen, ein Gespräch zu beginnen, hilft vielleicht ein Blick in seine Kunstbibliothek, um etwas zu finden, die Konversation zu eröffnen. Der Bildband Amphigorey. Edward Gorey ist Oskars großes Vorbild und ein Lehrmeister, ohne dass dieser ihn je vis a vis unterrichtet hat. Als Kind hat er zu Übungszwecken Goreys Illustrationen kopiert. Ein Buch mit der Aufschrift John Currin wird aus dem Regal genommen. Verzerrte Gestalten, die als lächelnde Karikaturen durch die Ölgemälde stapfen. Ein weiteres Vorbild und ein begnadeter Ölmaler. Beide Künstler, die mir Oskar als Vorbilder nennt, sind oder waren aus den USA, aber der dritte Künstler in der Ahnengalerie der Riesen, auf deren Schultern man weiter sieht als andere, stammt aus Japan. Toshio Saeki. Gespenstische erotische Zeichnungen der 70er Jahre.

Erotik taucht bei Oskar häufig nur in Symbolen auf und falls doch, wirkt sie wie von einem Unbeteiligten gezeichnet. Wenn seine Figuren nackt sind, dann meist, weil sie ein Gefühl des in die Welt Geworfenseins vermitteln sollen. Naturgewalten unterworfen. Kunst für die letzte Generation. Während wir endlich ins Gespräch kommen, peitscht der Regen ans Fenster, wie Catherines Geist in Wuthering Heights. Der Abend verspricht lang zu werden.

 

21.05.2024

© Klaus Kiesekamp

Bildrechte: Jan Krug

 

Ausstellungen*:

*Einzelne Ausstellungen können angewählt werden!


  • 2024 “Portfolio 24/II”, Gruppenausstellung, Galerie FLOX, Dresden
  • 2024 “Portfolio 24/I”, Gruppenausstellung, Galerie FLOX, Dresden
  • 2023 “DORIAN oder das Bildnis des Basil Hallward”, Einzelausstellung, Galerie Mitte, Dresden
  • 2023 “DNN Auktion”, Auktion, Dresdner Neuste Nachrichten
  • 2023 “Graphic & Metal”, Gruppenausstellung, Galerie FLOX, Dresden
  • 2023 “Auktion Dorotheum”, Auktion, Kunsblickpodcast/Dorotheum, Wien
  • 2023 “Portfolio 23/II/”, Gruppenausstellung, Galerie FLOX, Dresden
  • 2023 “Portfolio 23/I/”, Gruppenausstellung, Galerie FLOX, Dresden
  • 2022 “DNN Auktion”, Auktion, Dresdner Neuste Nachrichten
  • 2022 “autumn.hot”, Gruppenausstellung, Volksbank Bautzen
  • 2022 “Kunstauktion”, Auktion, Neuer Sächsischer Kunstverein, Dresden
  • 2022 “Palais-Sommer”, Gruppenausstellung, Palais-Sommer|Neumarkt, Dresden
  • 2022 “Im Reich der Flora”, Gruppenausstellung, Galerie Mitte, Dresden
  • 2022 “Portfolio 22/II/”, Gruppenausstellung, Galerie FLOX, Dresden
  • 2022 “Portfolio 22/I/”, Gruppenausstellung, Galerie FLOX, Dresden
  • 2021 “Weihnachtsausstellung”, Gruppenausstellung, Galerie Mitte, Dresden
  • 2021 “Bitte nichts mit Humor”, Einzelausstellung, Friedrichstattpalast, Dresden
  • 2021 “6 mal Sex”, Gruppenausstellung, Förderkreis Centro Arte Monte Onore, Ehrenberg
  • 2021 “Portfolio 21/III/”, Gruppenausstellung, Galerie FLOX, Dresden
  • 2021 Breitbandprojekt Bautzen, Illustration für KunstKASTEN, Bautzen und Landkreis, Telekom
  • 2021 Impressionen aus dem Lockdown, Kabinettausstellung, Galerie Mitte, Dresden
  • 2021 “Neustadt Art Festival”, Gruppenausstellung, Dresden
  • 2021 Kabinett, Kabinettausstellung, Galerie FLOX, Dresden
  • 2021 “Portfolio 21/II/”, Gruppenausstellung, Galerie FLOX, Dresden
  • 2020 “Wintersalon”, Gruppenausstellung, Galerie Kunst & Eros, Dresden
  • 2020 “6 mal Sex”,  Gruppenausstellung, Förderkreis Centro Arte Monte Onore, Ehrenberg
  • 2020 “Memento Mori”, Gruppenausstellung, Soultunes, Magdeburg
  • 2019 “Eine bunte Mischung Schwarzes”, Gerstaecker, Dresden
  • 2019 “Wein auf Lebenszeit”, Programm mit Ausstellung, Rotary, Dohna
  • 2019 “Sommersalon”, Gruppenausstellung, Galerie Kunst & Eros, Dresden
  • 2019 “Die dunklen Seiten[…]”, Evangelische Gemeinde, Schwepnitz
  • 2019 “Heinrich Zille Preis”, Gruppenausstellung, Radeburg
  • 2018 “In’s Side Door durch die Hintertür”, Side Door, Dresden
  • 2018 “Ich lach mich tot”, GruppenausstellungHaus der Begegnung, Leipzig
  • 2018 “Bilders Best”, Büchers Best, Dresden
  • 2018 “Sommersalon”, Gruppenausstellung, Galerie Kunst & Eros, Dresden
  • 2018 “6 mal Sex”, Gruppenausstellung, Förderkreis Centro Arte Monte Onore, Ehrenberg
  • 2018 “Wintersalon”, Gruppenausstellung, Galerie Kunst & Eros, Dresden
  • 2018 “IM NAMEN DER MEINUNGSFREIHEIT ZENSIERT”, HfBk, Dresden
  • 2017 In fernem Land, Breschke und Schuch, Dresden
  • 2016 “Dich ruft die Kunst”, Gruppenausstellung , HfBk, Dresden

 

Performances*:

*Einzelne Performances können angewählt werden!